Michl Schmidt

Eine Kaffeefahrt der Menschlichkeit


Während meines Stipendiums an der Akademie Schloss Solitude interessierte ich mich für die Bedingungen genau eines solchen Residenz-Stipendiums und deren Wirkung auf die eigene künstlerische Relevanz. So stellte sich mir die Frage: »Was tue ich, wenn meine Wohnung bezahlt wird und ich ausreichend Taschengeld erhalte, um die alltäglichen Bedürfnisse zu befriedigen?« Also die Frage danach, wie sich eine Grundversorgtheit/Grundversorgung auf die eigene (schöpferische) Aktivität auswirkt. Insofern habe ich mich theoretisch wie praktisch mit der Sphäre des Selbermachens/Do-it-yourself (DIY), der Bastelei/bricolage und dem Hobby/Spiel beschäftigt.


Das DIY hat sicher seinen Ursprung im Nützlichen/Notwendigen, es ist ein pragmatisches Sich-selbst-Helfen. Im DIY, als Bewegung westlicher Gesellschaften, hat jedoch eine diametrale Drehung der Vorzeichen stattgefunden. So ist der Bereich des DIY an sich schon Luxus, dessen Gegenstände häufig eine zweifelhafte Nützlichkeit besitzen, die eher ein Alibi darstellen, um sich einer Passion zu widmen, deren Qualitäten und Bedingungen in anderen gesellschaftlichen Produktions-/Arbeitsprozessen wenig bis keinen Raum besitzen. So gehört zu den Bereichen des DIY, der bricolage und des Hobbys wie auch der Kunst der Wunsch nach Alternativen zu den üblichen Produktions-/Schaffens-/Arbeitsbedingungen.



Dem Hobby widmet man sich, es ist frei gewählt und findet in seiner eigenen freiverfügbaren Zeit statt. Das Spiel ist das Auskosten, Ausprobieren, Ausloten der Möglichkeiten. Es ist nicht unbedingt ziellos, dennoch ist das Ergebnis nicht zwangsläufig vorgegeben, in jedem Falle aber selbst gesteckt. Oft sind die Gegenstände des Hobbys schon Produkte einer Transformation, so sind zum Beispiel viele Geräte des Sports, wie Fußball oder Golfschläger, die Nachfahren einstiger Waffen oder Werkzeuge. Auch die Aktivität des Spiels ist häufig die zivilisatorische Entschärfung archaischer Zustände. Andererseits kann das Hobby auch Projektionsfläche utopischer Vorstellungen sein, so bewegen sich die Miniatur-Landschaften des Modelleisenbahners oft zwischen überzogenem Nachbau der Wirklichkeit und Orten der eignen Fantasie. Weil das Eis dünn sein kann zwischen unmittelbarer Wirklichkeit und entgrenzter Freiheit von Utopie, scheint es eine Faszination auszuüben.


In der Zeit meines Stipendiums entstanden Objekte im Grenzbereich zwischen Prototyp, Modell und Werkzeug, die sich aus den »alltäglichen« Lebensumständen an der Akademie generierten oder auf sie bezogen.





Eine der ersten Realisierungen war der Bird Bungalow, ein modernes Vogelhaus inspiriert von der Architektur Frank Lloyd Wrights, das die Grundlage eines Winter-Stipendiums beziehungsweise einer Winter-Residenz für die Vögel der Umgebung bot.


Ebenfalls im Winter baute ich aus den Fragmenten des zu Bruch gegangenen Hausschlittens ein neues Modell. Die zur Anwendung gekommene Technik bezeichne ich als negative tuning, ein Spezialgebiet des Tunings. Das Tuning gehört eindeutig zur Sphäre des DIY, wobei ein anfänglich profanes (?) Objekt dermaßen bearbeitet, umgestaltet und gepflegt wird, dass sich aus ihm ein Kult-Gegenstand, ein Fetisch entwickelt, dessen Religion die ihn konstituierende Handlung selbst ist. Anders als beim gewöhnliche Tuning tritt beim negative tuning der Aspekt der Pflege, des sich Kümmerns vor dem Hochglanz in den Vordergrund. Tuning bedeutet etwas zu verbessern, was eigentlich schon ganz passabel ist; negative tuning meint den Eingriff und die Veränderung in die festen Bestandteile, das Benutzen dessen, was zugegen ist, das Umnutzen oder Zweckentfremden: ein Archetyp bastelnder Tätigkeit!




Der Einweganzug Solitude Bohemians ist der Prototyp für den Vorschlag einer Schuluniform für die Stipendiaten der Akademie Schloss Solitude. Er ist aus Tyvek angefertigt, einem papiervliesartigem Faserfunktionstextil, das seine Anwendung im Bereich der Verpackungs- und Bürobedarfsindustrie und als Material für Schutzkleidung findet. Meine Vorstellung war dabei, dass jeder Stipendiat bei der Ankunft an der Akademie zehn vakuumverpackte Anzüge in seinem Kleiderschrank vorfindet, die er dann in der Zeit des Aufenthalts abtragen kann.




Anlässlich des Sommerfestes zum 20-jährigen Jubiläum der Akademie gestaltete ich den Brunnen Szenario auf dem Akademiegelände. Das Szenario eines jeden Sommerfestes besteht darin, dass ein Unwetter das Fest verdirbt. So war die Basis des Brunnens ein auf den Kopf gestellter Party-Pavillon, der bereits mit Wasser vollgelaufen ist, das als Fontäne empor spritzt und beständig wie der drohende Regen auf die Pavillonplane prasselt.


Neben der Entwicklung der vorgestellten und weiterer Objekte beschäftigte ich mich während meines Solitude-Aufenthalts auch mit Strategien zur Vermittlung der Objekte. Auf der Suche nach einem geeigneten eigenen Format untersuchte ich die Verschränkung von Präsentation und Performance. Im Sinne der Feldforschung begab ich mich in die professionelle Obhut eines Coaching mit dem Schwerpunkt »Kompetenz zeigen beim Reden, Präsentieren und Verhandeln«.


Die Kaffeefahrt der Menschlichkeit stellt das Ergebnis dieser Untersuchung und ihrer Reflexion dar. Die Performance untersucht die Vermittlung von Objekten, die nicht den Anspruch besitzen, für sich stehen zu können, sondern die der Vermittlung bedürfen. Sie generieren sich aus den spezifischen Umständen des Alltags und sind gleichzeitig der Versuch, dem Kanon des Alltäglichen zu entkommen. Die Objekte besitzen einerseits einen ungewöhnlichen Gebrauchswert und gleichzeitig reflektieren sie ihre eigene Geschichte, sie geben ihren eigenen Mythos wieder. Der schöpferische Akt ist an sich schon ein Vermittlungsprozess zwischen Künstler und seinen Bezugsobjekten, zwischen Subjekt und Objekt. Bei der Kaffeefahrt der Menschlichkeit übernimmt der Künstler selbst die Rolle des Direktvermarkters, vorbei an den okkulten Kanälen der Kunstvermittlung und -vermarktung.




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