Hamed Taheri
Femmina Balba II
Der dreijährige Junge Useppe und sein Kätzchen sind eines Tages einfach verschwunden, ohne Spuren zu hinterlassen. Niemand weiß, was passiert ist. Die Mutter von Useppe, Femmina Balba, hört das Kätzchen ständig weinen. Sie sucht ihren Sohn überall, indem sie dem Weinen des Kätzchens folgt …
Das Solostück nimmt das Publikum mit auf eine Reise durch die zeitgenössische Welt. Durch die Suche der Femmina Balba nach ihrem Sohn wird das Bild unserer Welt schonungslos entblößt. Das, was unendlich zerstört werden kann, kann unendlich überleben. Femmina Balba gleicht einem Mosaik von Zitaten, die aus Werken von Rainer Maria Rilke, Fjodor Dostojewski, Pedro Calderón de la Barca, Heinrich Himmler, Walter Benjamin, Johann Wolfgang von Goethe und William Shakespeare stammen. Am Ende bleibt die Frage offen, was mit Useppe passiert ist.
Der Prolog
»mi venne in sogno una Femmina Balba« Dante Alighieri: Divina Commedia. Purgatorio: XIX Canto, 7.»Nulla resta di lui: egli testimonia attraverso queste mie parole.« Primo Levi: La Tregua.
In diesem längst verfallenen Saal
wo auf den Bänken Schimmel wächst
die Kerzen am Erlöschen sind
und hoch in den Ecken
riesige Spinnweben hängen
warte ich auf einen Glockenschlag
Ein Glockenschlag kündigt die Ankunft der Beamten des Himmels an
Es ist so schwarz und schlammig
um mich herum
Die Toten knospen und blühen
Ich grabe
er gräbt
sie gräbt
und es gräbt auch der Wurm
Hell ist die Nacht
Ein Veilchen wächst mir aus dem Munde
Muscheln rede ich
und leichtes Gewölke
Von Tief unten
aus dem Himmel
zittern die Sterne
Hell sind die Lampen des Schreckens
Es fällt meergrüner Schnee im Brombeerstrauch
Von jenseits der Kastanien
kommt ein Wind im Wolkenwagen
Ein Boot knospt im Regen
Jetzt
höre ich einen Glockenschlag
Ich sehe einen Beamten
einen Gewaltigen
gekleidet
in eine Wolke
der Regenbogen
über seinem Haupte
sein Antlitz
wie die Sonne
seine Füße
gleichen Feuersäulen
Er schreit mit lauter Stimme
wie ein Löwe brüllt
und als er geschrien hatte
redeten die sieben Donner
in ihren Stimmen.
Das Interview
Wie heißt du?Ich heiße Femmina Balba.
Wie hast du dich umgebracht?
Mit Rattengift.
Und warum?
Weil ich meinen Sohn suche.
Wie heißt dein Sohn?
Useppe.
Wie alt ist er?
3 Jahre alt.
Warum hast du dich von deinem Mann getrennt?
Er wollte Useppe im Ofen verbrennen.
Warum?
Weil Useppe nicht sprechen kann,
weil er von der Hüfte abwärts gelähmt ist,
weil seine Beine, dünn wie Stöckchen, verkümmert sind.
Was ist eigentlich mit deinem Sohn passiert?
Er ist eines Tages mit seinem Kätzchen einfach verschwunden.
Ich habe überall nach ihm gesucht.
Niemand weiß, wo er ist, was passiert ist.
Niemand hat etwas gesehen.
Worauf hoffst du?
Das wollte ich Sie fragen.
Ich höre immer das Kätzchen von Useppe weinen.
Ich folge nur dem Weinen.
Jetzt.
Hören Sie?
In der Ferne weint sein Kätzchen.
Hören Sie?