Korpys/Löffler

Konspiratives Wohnkonzept


Im Zuge der Ermittlungen zu einem Banküberfall der RAF in Bremen 1977 stieß die Polizei im 14. Stock eines Hannoveraner Hochhauses auf ein konspiratives Einzimmer-Appartement. Die Spuren wie auch zahlreiche Geldbanderolen wiesen darauf hin, dass es offensichtlich als Versteck und Übernachtungsmöglichkeit gedient hatte. Ein Kassierer der betroffenen Bank wurde zudem zwecks Identifikation der Banderolen nach Hannover gefahren. Ausgehend von vier BKA-Fotos der betreffenden Wohnung arrangierten Korpys/Löffler ein Interview mit diesem Bankangestellten, in dessen Verlauf sie sich den Überfall selbst, den Ortstermin in Hannover und die spätere Identifikation einer Inhaftierten in Hamburg von ihm schildern ließen. Aus diesem Material rekonstruierten sie im Rahmen eines Buchprojektes 1998 mithilfe von Design- und Warenkatalogen der siebziger Jahre so genau wie möglich die Einrichtung der konspirativen Wohnung. In detailreichen Zeichnungen und mit erläuternden Beschriftungen entstand so aus dem Gemenge von Nachweisbarem, Imaginiertem und (aus der eigenen Jugendzimmerbiografie) Erinnertem ein schlüssiges Wohnraumkonzept, das u. a. die Wurzeln heutiger Schnelleinrichter wie IKEA in dem aufbrechenden Bedürfnis der Siebziger-Jahre-Generation nach einer pragmatischen, mobilen Raumgestaltung freilegt.







Anschließend beauftragten sie ein Bremer Innenarchitekturbüro, auf der Basis ihrer Analysen ein konspiratives Wohnkonzept für die Gegenwart zu entwerfen, das sich ebenso nah an Alltagseinrichtung und Populärdesign orientiert. Nach den gelieferten Entwürfen bauten sie schließlich in einem Fotostudio eine Wohnungseinrichtung auf, leuchteten sie professionell aus und protokollierten mit der Kamera akribisch den anschließenden Zerstörungsprozess. Auf diese Weise entstand eine subjektive Geschichte des Aufbegehrens in Deutschland: Verlagerte einst eine ganze Generation ihre Unzufriedenheit mit den Verhältnissen bis zum Extremismus auf die Straße und mitten hinein in das öffentliche Leben, so richtet sich die Aggression heute vielmehr nach innen, gegen sich selbst und in das private Umfeld. Korpys/Löffler führen diesen individualisierten Protest der neunziger Jahre allerdings wenigstens soweit fort, dass am Ende ein recyclingfähiger Rest übrig bleibt, der noch einmal in wunderbar komponierten, fast abstrakten Fotoarrangements zu augenzwinkerndem Leben erwacht.


Drei Jahre nach dieser differenzierten Aneignung von Geschichte greifen Korpys/Löffler das Thema ein weiteres Mal auf, um diesmal sehr viel stärker den persönlichen biografischen Bezug zu den historischen Ereignissen zu pointieren. Das konspirative Zimmer im 14. Stock des Hochhauses in Hannover wird diesmal dreidimensional und im Originalmaßstab als Filmkulisse nachgebaut und um einen Fernseher ergänzt, auf dem eine Reihe von umkopierten Super-8-Filme läuft, die in der Schulzeit Markus Löfflers in einer Film-AG entstanden waren: gnadenlose Landserszenen mit originalen Wehrmachtswaffen, viel Ketchup und in der Ödnis einer alten Kiesgrube gedreht. Individuelle Gewalt- und Kriegsphantasien werden hier mit dem Setting gesellschaftlicher Bedrohung verbunden und so die Grenze zwischen jugendlicher Fiktion und politischer Wirklichkeit, zwischen dem Ich und den Anderen, letztlich auch zwischen Sublimierung und realem Ausleben zu einer Unbestimmtheitszone verwischt.


Text von Roland Nachtigäller, in: Korpys/Löffler: Organisation. Frankfurt am Main 2006.






Interview: Kassierer Kümpel, Bankhaus Neelmeyer, Bremen

Drei Monate später wurde ich dann von zwei Kripobeamten abgeholt und wir fuhren in so einem klapprigen alten Mercedes nach Hannover in die Wohnung. Meine Aufgabe war es, die Banderolen zu identifizieren und festzustellen, ob es sich dabei um den gesamten Betrag handelte, was ja nicht so einfach war, denn damals war es durchaus üblich, daß unter der fünf- oder zehntausender Banderole noch einmal zehn einzelne kleine waren. Wenn man nun alle Banderolen hingelegt hätte und versucht hätte, auf die volle Summe zu kommen, wäre man nun nicht auf fünfhunderttausend, sondern eher auf achthunderttausend gekommen. In fünf Minuten hatte ich dann raus, daß es sich dabei um den vollen Betrag handelte. Man wollte wohl wissen, ob die noch was vergraben hatten, oder ob das alles war.


Auf dem Weg nach Hannover machten sich dann meine beiden Begleiter über ihre Hannoveraner Kollegen lustig. Die haben sich halb totgelacht über die Hannoveraner, denn sie haben die Wohnung Wochen und Monate lang beobachtet, ehe sie reingingen, weil sie merkten, daß die Wohnung nicht mehr benutzt wurde, aber unter die Abdeckplane auf dem Balkon haben die erst Wochen später nachgesehen und den Spaten und die Geldbanderolen gefunden.


Mit dem Fahrstuhl fuhren wir in den vierzehnten Stock und kamen in die Wohnung, wo so eine Enge herrschte, denn es befanden sich bestimmt 10 bis 12 Personen dort, zum Teil mit Gummihandschuhen und Pinseln, um nach Spuren zu suchen. Wenn man durch den Flur reinkam, befand man sich in dem Wohnzimmer, so ca. 25 Quadratmeter groß, von dem auch der Balkon abging. Zwei Matratzen lagen rechter Hand vom Flur aus gesehen – ob die nun bezogen waren, weiß ich nicht mehr –, ein einfaches Regal und ein Kofferradio, auch nichts Besonderes.


Die Wohnung machte einen relativ ordentlichen Eindruck – nicht besonders dreckig und auch keine vollen Aschenbecher oder dicken Flecken auf dem Boden; es hingen sogar Gardinen vor den Fenstern. Auf dem Balkon lag noch die Abdeckplane, das war so eine farblose und schmutzige, zusammengefaltete Plane, ich schätze mal so 12 Quadratmeter groß.


Als die vor mir stand, hab ich noch gesagt: „Lassen sie doch den Quatsch, was soll denn der Blödsinn.“ Die war ja nur so ca. einmetersechzig, wenn sie groß war. Die hab ich nicht für voll genommen. Dabei hatte die ein richtiges Kaliber, keinen Revolver, sondern eine Pistole, wie man mir später sagte, Kaliber 9 mm Magnum. Im Hintergrund stand einer mit einer Maschinenpistole und behielt alles im Auge und an der Nebenkasse stand einer mit einem Trommelrevolver. Alle so um die 30, ganz normal gekleidet und unmaskiert, und das war dann auch deren Vorteil, denn jeder beschrieb die Leute nachher anders. Der mit der Maschinenpistole gab dann immer die Kommandos. Das ging alles blitzschnell, innerhalb von zwei bis drei Minuten war alles vorbei. Dann rief der mit der MP: „Jetzt raus, raus, raus.“ Das wirkte alles richtig militärisch und es war ja auch so einfach.


Das war ja damals so: Wir hatten zwei Kassen, meine war mit zwei, nebenan war die Kasse mit drei Leuten besetzt, aber ob zu der Zeit alle anwesend waren, das weiß ich nicht mehr, es war ja, wie ich mich noch erinnern kann, später Vormittag. Meine Kollegin schnürte im Hintergrund gerade die Pakete zusammen, das war das Geld von den Zweigstellen, was weiterverarbeitet wurde, damit es „bundesbankfähig“ war und sollte zur Landesbank gebracht werden, wie jeden Tag um diese Zeit. Die Geldtransportwagen kamen dann ja von unseren Filialen, damals waren es acht. Dann wurde das Geld ausgeladen und mußte gezählt werden und wurde so zusammengestellt und in Paketen verschnürt, wie es für die Landeszentralbank gebraucht wird. Das müssen die gewußt haben.


Der mit dem Trommelrevolver schrie dann immer: „rüber, rüber, rüber.“ Von mir persönlich haben die dann auch kein Geld bekommen. Es war dann ja auch noch ein Fischhändler anwesend, der hatte sein ganzes Geld vor sich aufgebaut, das müssen wie immer so ungefähr zehntausend Mark gewesen sein, aber das blieb dann so liegen, das haben die nicht mitgenommen. Die Pakete haben denen wohl gereicht.


Als ich einige Zeit später bei meinen Kollegen in Hamburg war, sagten die mir: „Wir sind euch so richtig böse“, denn kurze Zeit später gab es eine neue Bestimmung, die nennt sich „Lex Neelmeyer“, was soviel heißt, daß nur ein erkennbarer Kassenbestand von fünfzigtausend Mark da sein darf, alles andere muß zumindest nicht einsehbar sein, also das Geld einfach rumliegen lassen, das ist jetzt vorbei – „und das haben wir euch zu verdanken!“


Einige Zeit später sind wir dann mit einem VW-Bus nach Hamburg ins Untersuchungsgefängnis gefahren. Wir bekamen alle ein Fernglas und sollten unten auf dem Hof eine Frau identifizieren, aber die wußte auch, worum es ging, denn die ging so geduckt, und wir waren auch viel zu weit entfernt. Anschließend wurden wir in einen Verhörraum gebracht, wo überall Frauen herumsaßen, die sich ulkig benahmen. Die eine drehte sich weg, die andere schnitt Grimassen, andere kniffen ihre Augen zu. Ich bin dann mit dem Kripobeamten raus, denn ich war mir ziemlich sicher, daß ich die eine wiedererkannt habe, aber um das genau zu sagen, hätte ich ihre Augen sehen müssen. Als die mir nämlich damals in der Bank gegenüberstand, habe ich ihr genau in die Augen gesehen. Die hatte so eine bestimmte Schattierung in den Augen, die ich sicher wiedererkannt hätte, wenn ich ihre Augen gesehen hätte, aber zwingen konnte man sie ja nicht. „Nein, zwingen können wir sie nicht“, sagte der Kripobeamte.


Die Versicherung zahlte ziemlich schnell, da gab es ja auch kein wenn und aber. Ich habe das Geld nachgezählt und bei der ganzen Rechnerei fehlten am Ende auch noch tausend Mark. Ob die Differenz da falsch ermittelt wurde? Wir haben es dann dabei belassen.


Interview abgedruckt in: Korpys/Löffler: Konspiratives Wohnkonzept »Spindy«. Stuttgart 1998.






Konspiratives Wohnkonzept, 1998–2001

Designrecherche: vier Zeichnungen, Zeichentusche auf Papier, 116,5 x 189 cm
Entwürfe: drei Zeichnungen, Tusche und Farbstift auf Transparentpapier,
je 50 x 65 cm
Ausführung: drei C-Prints, je 187 x 180 cm
Courtesy Korpys/Löffler und Galerie Meyer-Riegger, Berlin




Print        Back to Top